Unser «linksversiffter Staatssender!» auf Abwegen.

2. April 2025

Wenn das Schweizer Fernsehen SRF alle Hüllen fallen lässt und einer rechtsextremen Organisation die grosse Bühne bietet, und ein Schweizer Professor für Medienethik darüber hinaus seinen Segen dazu gibt, dann ist endgültig etwas kaputt in unserem Land, Vinzenz Wyss. Was passiert hier grad? – Ein offener Brief und eine Bitte.

Der SRF-Journalist Samuel Konrad heftet sich ein halbes Jahr an die Fersen einer demokratiefeindlichen Organisation und publiziert einen Beitrag, der durchsetzt ist mit rassistischen Aussagen. Ein Beitrag der heftig kommentiert wurde und den du im Q&A mit dem Autor analysierst und diskutierst. Mich friert.

Doch, Vinzenz, damit geschieht genau das mit diesen Begriffen und diesem Gedankengut: Sie werden noch mehr in die Mitte der Gesellschaft getragen, als sie es schon sind. Was sagt einer der Protagonisten einmal zum Begriff Remigration: «Wir wollen diese Begriffe durch Repetition normalisieren, damit sie gangbar werden auch für einen SVPler». Da nützen diese kurzen Einspielungen mit dem Rassismusexperten herzlich wenig, der «astreinen Rassismus» feststellt. Ausgewogenheit? Erstens gab es keine und zweitens ist sie bei diesem Thema auch nicht am Platz.

Da bringt es auch nichts, wenn der Reporter Samuel Konrad irgendwo auf dem Nachhauseweg im Auto darüber sinniert, ob die Kritik einer jungen Frau, er stehe auf der falschen Seite der Geschichte, nun stimme oder nicht und dann hofft, dass er auf keiner Seite stehe, sondern nur halt «zeigt, was ist». Zeigen was ist? Das ist einer der ganz grossen Irrtümer im Journalismus. Was ist, das sehen wir alle selber. Journalismus soll zeigen, was unter diesem «Ist» liegt. Wohin dieses «Ist» führen kann. Wer für dieses «Ist» verantwortlich ist. Journalismus soll zeigen, was uns verborgen ist.

Und Samuel Konrad ist sich während der ganzen Reportage bewusst, dass es dieser Organisation vor allem um eines geht, nämlich maximale Aufmerksamkeit zu generieren. Und er formuliert es sogar selber irgendwann während der Reportage, dass er mit seiner Arbeit womöglich genau diese maximale Aufmerksamkeit ja eigentlich befeuere.

Welche «Motive und Hintergründe» hat mir dieser Beitrag aufgezeigt? Welche? Was habe ich gelernt? Dieses Gedankengut ist brandgefährlich, das ist zur Genüge bekannt. Dafür muss ich die einzelnen Personen nicht kennenlernen. Ich verstehe ja, dass du nett und freundlich mit einem jungen Journalisten umgehen möchtest. Aber das hier ist nicht ein Seminarraum. Das ist Öffentlichkeit.

Es geht nicht darum, ob wir mündige oder unmündige Bürgerinnen sind.  Es geht nicht darum, uns «erziehen» zu wollen oder nicht. Es geht darum, dass wir Normalsterblichen in unserem Alltag weder die Zeit noch die Ressourcen haben, uns in politische oder gesellschaftliche Themen zu vergraben. Es geht darum, dass wir darauf angewiesen wären, dass der Journalismus das für uns liefert. Aber er versagt. Seit Jahren. Es gibt nach wie vor grossartigen Journalismus. Aber man muss ihn suchen. Seit Jahren zählt, was geil und bunt ist, es zählt die Form, der Inhalt muss nur Wirkung zeigen. Egal, was klickt und zahlt, nicht was relevant ist.

«Man muss die eigenen Prinzipien nicht verlassen…», sagst du Samuel Konrad im Q&A zur Reportage. Ob er diese eigenen Prinzipien hat, weiss ich nicht, die Prinzipien/ Leitlinien von SRF hat er aber definitiv verlassen und du scheinst das auch nicht wahrhaben zu wollen.

Distanz zu Protagonistinnen und Protagonisten!

«Bei einer Berichterstattung schaffen wir – wo nötig – Transparenz. Das bedeutet auch, dass wir im Umgang mit Protagonistinnen und Protagonisten Distanz wahren. Problematisch ist nicht nur eine tatsächlich existierende Befangenheit, sondern bereits der Anschein einer solchen.» (2.3 Publizistische Leitlinien SRF Dezember 2024).

Es ist das falsche Format, es ist eine falsche Herangehensweise und die Reportage ist demokratiegefährdend. Gerade für einer Reportage, die sich in ihrer ganzen Machart vor allem an Jugendliche und junge Erwachsene wendet!

Der Schluss des Beitrags? Samuel Konrad verlässt sein SRF-Auto in der riesigen SRF-Parkgarage und wieder sinniert er nachdenklich:

«Tönt für mich nach einer düsteren, völkischen Vision, nach einer alten Weltanschauung im neuen Gewand. Nach Rassismus ohne Rassenbegriff. – Immerhin, sagen sie selber, dass sie diese Ziele ohne Gewalt erreichen wollen, mit demokratischen Mitteln verwirklichen, wie die Justiz».

Mich friert, Vinzenz Wyss! Immerhin? Immerhin mit demokratischen Mitteln in eine völkische Vision? Meinungsfreiheit? Pressefreiheit? Ich verurteile Samuel Konrad dafür nicht. Wenn man an so einer Geschichte steckt, kann einem offensichtlich der journalistische Kompass abhandenkommen. Aber der verantwortlichen Redaktion mache ich einen Vorwurf. Und dass die Kritik von der Angebotsverantwortlichen Anita Richner – so lese ich auf 20Minuten – offensichtlich abperlt: «…man berichte stets «aus kritischer Distanz, sachgerecht, vielfältig und unabhängig» – die Rezeption der Inhalte könne SRF jedoch nicht beeinflussen.»

Und dir Vinzenz Wyss mache ich einen Vorwurf. Ihr sitzt zurzeit grad alle auf der «falschen Seite der Geschichte». – Ich wäre froh, du gingest noch einmal über die eigenen Thesen. Es wäre die Möglichkeit, einen der schlimmsten Fehler im Journalismus zu korrigieren: Niemals einen Fehler, einen Irrtum einzugestehen. Niemals! Und sich dabei darauf zu verlassen, dass das Publikum eh vergesslich ist und morgen nicht mehr weiss, was man gestern gesagt hat. – Wir sind genau darum genau hier, wo wir sind, in Europa in den USA und in der Schweiz. Auf dem Weg in einen Krieg.

Es ist Zeit, höchste Zeit!

  • Es ist Zeit, mit diesen alten Zöpfen aufzuräumen, mit denen es sich Journalistinnen und Journalisten über Jahre sehr bequem gemacht haben. Es ist Zeit, mit dieser ignoranten Haltung aufzuhören. Journalismus ist kein geiler Job!
  • Es ist Zeit, dass Journalistinnen und Journalisten sich wieder ihrer Verantwortung bewusstwerden.
  • Wir haben eine Haltung zu haben, eine journalistische Haltung!
  • Es genügt nicht, diesem ein Mikrofon vors Gesicht zu halten und dem anderen auch und sich dann hinter Meinungsfreiheit zu verstecken.
  • Wir haben eine Aufgabe: die stetige Suche nach der Wahrheit. Und die Wahrheit ist nicht das Gürkchen, irgendwo in der Mitte eines Sandwiches. Sie liegt nie irgendwo in der Mitte. Nie!
  • Pressefreiheit ist nicht die Freiheit zu berichten, was uns grad in den Kram passt. Pressefreiheit ist dafür da, uns den Rücken freizuhalten, damit wir nach der Wahrheit suchen können, ohne behindert zu werden.
  • Journalistinnen und Journalisten sind keine freischwebenden Wesen, die losgelöst vom Rest der Menschheit agieren. Sie haben mit beiden Beinen festverankert auf dem Boden der Demokratie zu stehen.
  • Und sie müssen sich sehr wohl mit einem gemein machen: Mit der Suche nach der Wahrheit und mit der Verteidigung der Demokratie.

Denn eines sollte uns allen bewusst sein: Allein die Demokratie garantiert die freie Berufsausübung von Journalistinnen. Ansonsten braucht es den Journalismus nicht mehr, braucht es dich nicht mehr. Die KI macht das heute ganz alleine, besser und um ein Vielfaches günstiger.

Und bitte hören wir auf, zu relativieren. Diese schier genuin schweizerische Unart, es werde ja dann wohl nicht so schlimm kommen: Es stimmt, wir haben selten richtig was abbekommen von all den Krisen in der Welt. Die Schweiz hat es noch immer geschafft, sich galant am Gröbsten vorbeizumanövrieren. Käse, Berge, Banken – mit Schokolade versüsst.

Wir brauchen Aufarbeitung über einige Themen der letzten Jahre und der Gegenwart. Wir brauchen Aufarbeitung über die Rolle der Schweiz in der Welt. Ja, es gibt sie, aber nicht für das Massenpublikum. Dabei ist vor allem die Rolle von Journalismus ein Kernthema.  Das Versagen der Medien. Nicht akademisch abgehoben, sondern down to earth und ohne Rosa-Brille.

Der Medienwissenschaftler Stephan Russ-Mohl hat einiges dazu gesagt und immer wieder wichtige Diskussionen angestossen «Streitkultur», die aber offensichtlich ungehört verhallen. Auch wenn ich in einigen Punkten gar nicht mit ihm einhergehe: Was die Rolle des Journalismus angeht, hat der Mann etwas zu sagen. Die Medienwissenschaftlerin Marlis Prinzing, der Medienwissenschaftler und ehemalige Ombudsmann von SRF, Roger Blum, der Medienwissenschaftler Uwe Krüger, Urs P. Gasche vom Infosperber… und den Kurt Imhof im Geiste. Holt solche Leute an den Tisch. Es ist dir und vielen Menschen, gerade in der Schweiz, offensichtlich nicht bewusst, wohin die Reise gehen könnte. Es ist euch offensichtlich nicht bewusst, wie sehr es in der Bevölkerung kocht, worauf wir zusteuern.

Wir können uns auf den Krieg vorbereiten, ja. Aber diesmal wird niemand, wirklich niemand sagen können: Ich habe nichts gewusst. Wir laufen gerade mit weit geöffneten Augen und unglaublich naiv in den Wahnsinn. Und wir diskutieren, manierlich… und ignorant.

Aufarbeitung. Eine ehrliche Aufarbeitung ist, was wir brauchen. Jetzt. Es gäbe noch viel zu sagen. Ich mache einen Punkt. Ich bin erschüttert.

Q&A zur Reportage «Die «Junge Tat» – Zwischen Rassismus und Meinungsfreiheit» vom Schweizer Fernsehen SRF am 31. März 2025

https://www.srf.ch/play/tv/rec-/video/qa-zur-reportage-die-junge-tat—zwischen-rassismus-und-meinungsfreiheit?urn=urn:srf:video:e63d6af7-df7f-4339-83f7-a283cc2c7e0e