28. März 2024
Antwort auf die Begründung des Chefredaktors vom Schweizer Fernsehen SRF, warum SRF nicht über die so genannten RKI Protokolle berichtet.
Lieber Tristan Brenn
JournalistInnen der Leitmedien werden sich nicht ein weiteres Mal um eine veritable Aufarbeitung der letzten Jahre drücken können, ohne ihre angeschlagene Glaubwürdigkeit ganz zu verlieren. Auch SRF nicht.
«Es ist Zeit daraus zu lernen, um es besser zu machen. Wenn nicht, diskreditiert sich die WHO selber und beim nächsten wirklich gefährlichen Virus wird sie niemand mehr ernst nehmen.» – Dies sagte die damalige Ständerätin Liliane Maury Pasquier 2010, gleichzeitig Präsidentin der Gesundheitskommission des Europarates, in einem Beitrag der Rundschau von SRF am 7.04.2010. Damals mussten Vertreter der WHO vor dem Europarat Red und Antwort stehen für das weltweite «Schweinegrippe-Debakel».
Schauen Sie sich bitte wenigstens Ihre eigenen Sendungen an. Hätte nicht mindestens Urs Leuthard, der die Sendung damals moderierte, einmal sagen müssen, dass man eventuell etwas kritischer bleiben müsste? Item, das Debakel wurde nie aufgearbeitet. Und dass während Corona ausgerechnet der Arzt, der damals massgeblich für die Aufdeckung des Schweinegrippe-Debakels verantwortlich gewesen war, wegen seiner Aussagen zu SARS-CoV-2, aufs Härteste angegriffen und zensuriert wurde, wäre – mindestens – erklärungsbedürftig gewesen. Aber Wolfgang Wodarg wurde nur diffamiert und kaltgestellt. Genau so schafft man Verschwörungsmythen.
Sie sagen: «Die laufende Bewertung der #Corona-Situation war kompliziert. Widersprüche in der Beurteilung der Lage weisen nicht auf eine «gelenkte» Politik hin. Das zeigt dieser Bericht der @tagesthemen zu den RKI-Files vorbildlich auf: tagesschau.de/multimedia/vid…»
Mitnichten. Die laufenden Bewertungen waren zwar komplex. Mindestens in den ersten Wochen. Die Leitmedien sind dann aber einfach auf den fahrenden Panik-Zug aufgesprungen. Zwei Jahre, Tag für Tag, Sendung für Sendung: Panikmeldungen. Corona. Börse. Wetter. Tag für Tag. Der Bericht der Tagesschau zu den RKI-files war eben nicht vorbildlich, Herr Brenn, sondern eher eine Wiederholung des Immergleichen: Schönreden und Relativieren. So empfinden das mindestens die Menschen, die sich jetzt über Jahre nicht wahrgenommen wissen. Die jetzt über Jahre in die gleiche Ecke gestellt wurden. Es sind immer noch sehr viele Fragen offen. Es braucht eine gründliche Aufarbeitung. Nicht einen Beitrag hier und ein Berichtchen da. Es braucht viel mehr.
Ja, die Schweiz hatte andere Richtlinien. Aber die Entscheide des RKI und Drosten hatten sehr wohl einen Einfluss auf die Schweizer Coronapolitik, das wissen Sie so gut wie ich. Hier genauer hinzusehen wäre sehr wohl relevant.
Sie sagen: «Der Relevanzbegriff lässt sich definitiv nicht wissenschaftlich bemessen». Das ist definitiv so. Aber journalistisch lässt er sich bemessen, Herr Brenn. Redaktionen müssen wahrnehmen, was den Menschen wichtig ist, was die Menschen bewegt. MÜSSEN diese Themen aufgreifen. Ergebnisoffen. JournalistInnen müssen auch der Wissenschaft auf die Finger schauen. Das ist nicht wissenschaftsfeindlich, sondern einfach Aufgabe von Journalismus.
Von Anfang an hat in der Schweiz einzig Infosperber seine Rolle als Watchdog immer wieder wahrgenommen. Wenige andere sind auf dem Weg. Zum Beispiel Dominique Strebel im Beobachter vom 25.02.2024: «Ich glaube, dass wir als Gesellschaft noch einiges an Aufarbeitung dessen brauchen, was da mit uns allen geschehen ist». In Deutschland fällt die Berliner Zeitung mit aufklärenden Artikeln auf. Da kann ich Ihnen nur den Gastbeitrag von Dirk Jacobs vom 1. Juli 2023 ans Herz legen: «Die Fähigkeit zur Selbstkritik ist doch eigentlich ein Zeichen von Größe und Stärke. Sollten wir uns die Zeit dafür nicht nehmen? Das kann kaum schaden. Und eigentlich nur Gewinn bringen.«
Thread von Tristan Brenn vom 27.03.2024 auf X:
🔍 Warum berichtet @SRF nicht über die #RKIProtokolle ? Das haben sich viele gefragt,
leider oft begleitet von Unterstellungen und Verschwörungstheorien über Medien und
Politik, die angeblich Dinge unter den Teppich kehren. Zur Klarstellung ein kurzer #Thread
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Die laufende Bewertung der #Corona-Situation war kompliziert. Widersprüche in der
Beurteilung der Lage weisen nicht auf eine «gelenkte» Politik hin. Das zeigt dieser Bericht
der @tagesthemen zu den RKI-Files vorbildlich auf:
Pandemiepolitik: RKI-Dokumente veröffentlicht
https://www.tagesschau.de/multimedia/video/schnell_informiert/video-1320428.html
@tagesthemen Für die Schweiz hat die innerdeutsche Diskussion um die Protokolle des RKI nicht denselben Stellenwert wie für Deutschland. Die Schweiz hatte andere Richtlinien
in der #Coronapolitik. Die Entscheide des Krisenstabs des @rki_de hatten somit kaum
Einfluss auf die CH.
@tagesthemen @rki_de Es geht nicht darum, wichtige Nachrichten zu ignorieren, sondern
um eine sorgfältige Auswahl dessen, was für unser Publikum am relevantesten ist. Das ist
nicht immer einfach zu beantworten – und ist eine Herausforderung für jedes Medienhaus.