Medien(ohn)macht!?

Spain, Juli 2022

Corona- oder Pferderennen-Berichterstattung?«Halb voll ist eben auch halb leer.»

„Die Presse ist nicht Lautsprecher der Virologie, sondern Lautsprecher der Demokratie.“

Klaus Meier, Professor für Publizistik

Der brutale Angriff der russischen Regierung hat zwar Corona von einem Tag auf den anderen (was für ein Spuk!) aus den Schlagzeilen geworfen, aber auf Facebook und auf Twitter liefert man sich nach wie vor Wortgefechte und der für die deutschsprachigen Länder wirkmächtigste Virologe und Warner, Christian Drosten, kommt auch nicht zur Ruhe: «So einfach werdet ihr mich nicht los:-)», twittert er am 6. Juni 2022 mit dem Link zu einem Interview mit ihm in der FAZ.Net, wo er vor einem «quälend langen Winter» warnt.

Screenshot Christian Drosten auf Twitter

Ich bin nur eine von Hunderttausenden von Menschen, die praktisch seit Beginn der Pandemie ein Unbehagen den Medien gegenüber begleitet. Ich habe mich lange nicht öffentlich dazu geäussert.

Ich habe keine wissenschaftliche Expertise im Zusammenhang mit diesem so genannten «neuartigen Virus SARS-CoV-2», ich bin Laie. Egal darum, was ich zum Thema gesagt hätte, ich wäre sofort in die Schublade «Schwurbler Covidioten» versorgt worden – und werde es wohl auch heute noch.

Dass dieses Unbehagen aber nicht aus der Luft gegriffen ist, sondern seine handfesten Gründe hat, wurde bereits im August 2020 festgehalten. Leider habe ich diesen Artikel vom European Journalism Observatory EJO erst jetzt im Juli 2022 entdeckt.

Dieser Text von Klaus Meier, Professor für Journalistik, setzt sich mit der ersten empirisch fundierten Analyse zur Corona-Berichterstattung auseinander, eine Studie des Schweizer Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft fög.

Die Studie zeigt auf, dass die Medien dringlich über die Bücher müssen. Studien und Analysen sind allerdings diplomatisch und nüchtern verfasst. Allem voran aber diplomatisch. Ich bin darum froh um den einordnenden und etwas schärferen Ton von Klaus Meier auf EJO. Vorneweg sage ich es aber noch unverblümter. Denn was die WissenschaftlerInnen oft vergessen, ist, dass wir Normalsterblichen nicht ständig abstrahierend lesen oder hören können. Dass wir auch nicht alles lesen können und oft nur die Bilder und Schlagzeilen mitbekommen. Tatsache ist, dass nach über 2 Jahren Medienberichterstattung zu Corona viele Menschen total abgestellt haben und ihre Geräte abschalten, sobald auch nur ein Pips von Corona zu hören ist, ein anderer Teil scheint innerlich zerfressen vor Angst vor Viren und der Rest sieht sich von einer Weltverschwörung heimgesucht. – Wir müssen über die Bücher!

JournalistInnen müssen sich mit ihrer Verantwortung auseinandersetzen und sich klar werden, dass sie sich nicht einfach hinter irgendwelchen ExpertInnenmeinungen verstecken können, hinter einem diffusen und tausendfauch publizierten: «Follow the Sciece!». Immer, wenn sie kritisiert wurden, holten sie PsychologInnen, die uns wiederum erklärten, warum viele Menschen trotz all der Erklärungen und Zahlen von Virologen und Modellierern skeptisch bleiben würden: Wir sind zu dumm oder unfähig, komplexe Systeme und exponentielles Wachstum zu verstehen, darum suchten wir nach einfacheren Erklärungen und darum seien wir so anfällig für Verschwörungstheorien.

Alle Menschen, die skeptisch waren, würden unter einer Wahrnehmungsverzerrung leiden, heisst es: Confirmation-Bias, Dunning-Kruger-Effekt und Kognitive Dissonanz wurde jeder und jedem um die Ohren gehauen, wer nicht bereit war, alles zu schlucken, was da aufgetischt wurde. Diese Wahrnehmungsverzerrungen aber, diese Phänomene, haben die unangenehme Eigenschaft, dass sie nur beim anderen wahrgenommen werden, kaum bei sich selbst. Auf jeden Fall habe ich nicht ein einziges Mal in diesen vergangenen Monaten und Jahren von einem Autor oder einer Journalistin gelesen, die derart selbstreflexiv auch sagten, dass sie allenfalls selber einer Wahrnehmungsverzerrung unterliegen könnten. Nein, koste es was es wolle – und koste es selbst das Leben vor allem all der sehr verletzlichen Personen: «Follow the Science!», folge dem einzigen Narrativ von «Zahlen, Zahlen, Zahlen, Testen, Masken, Lockdowns und Impfung». Kritiklos!

Diese Haltung, dieses undifferenzierte Teilen der Gesellschaft in ein WIR und die Anderen, hat zu grossen Verwerfungen in den Gesellschaften geführt, nicht nur im deutschsprachigen Raum. Man kann es weltweit beobachten, auch wenn es viele immer noch nicht wahrhaben wollen und ihre Augen krampfhaft davor verschliessen. Wir haben ein Problem in unseren Demokratien. Und die Medien sind hier mitverantwortlich, um nicht zu sagen: hauptverantwortlich und sie wollen und wollen es nicht wahrhaben.

Und nochmals: Natürlich haben wir nach wie vor ausgezeichnete JournalistInnen, die täglich ausgezeichnete Arbeit machen. Aber da, wo es ums Eingemachte geht, wie zum Beispiel bei Corona, da – ich kann es nicht anders sagen: Da haben wir ein grosses Medienversagen. Man will es nicht wissen, man will es nicht wahrnehmen. – Dies ist meine unverblümte Sicht auf die Dinge. Also unbedingt den Artikel von Klaus Meier auf EJO lesen und wer noch mehr Atem hat, soll sich in die Studie vom fög knien, die medial allerdings – wie leider oft – kein grosses Echo bekam. Und wenn doch, wurden die positiven Aspekte herausgepickt und die grossen Mängel aussenvor gelassen und liessen so: «…die Reflexion zur reinen Eigenwerbung verkommen», so Klaus Meier.

Darum zum Schluss noch eine Warnung von ihm:

«Das Virus wird uns noch monate-, wenn nicht jahrelang begleiten. Zumindest Teile des Journalismus sind im anhaltenden Rausch hoher Nutzungszahlen auf dem Weg vom Früh- zum Dauerwarnsystem. Dies könnte sich als noch problematischer für die demokratische Gesellschaft erweisen als die hier nachgewiesenen Mängel.»

Und zur Erinnerung: Auch nach dem Schweinegrippe-Desaster wurde gewarnt: Die folgenden Worte waren 2010 an die Weltgesundheitsorganisation WHO gerichtet. Aber auch hier waren es Medien, die weder Zahlen noch Fakten hinterfragten: «Es ist Zeit daraus zu lernen, um es besser zu machen. Wenn nicht, diskreditiert sich die WHO selber und beim nächsten wirklich gefährlichen Virus wird sie niemand mehr ernst nehmen.» Das sagte die damalige Präsidentin der Gesundheitskommission des Europarates, die Schweizer Ständerätin Liliane Maury Pasquier 2010.

Klaus Meier, Professor für Journalistik:

//Halb voll ist eben auch halb leer: Studie zur Corona-Berichterstattung

Studie Schweizer Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft – fög:
https://www.media.uzh.ch/de/medienmitteilungen/2020/F%C3%B6g.html