Irrtümer und Einsichten
Spain, 2. Januar 2022 – Because News Matters!
Es wird in letzter Zeit viel und emotional über False Balance diskutiert, in den Medien und in den Internet-Medien (den Social Media), meist mit der Forderung, dass so genannten Coronaskeptikerinnen das Wort verboten werden sollte. Diese False Balance haben wir in der Tat. Nur wird nach wie vor oft falsch verstanden, worum es bei False Balance geht, bzw. wann und wie sie stattfindet.
Ein gutes Beispiel ist die stark kritisierte Arena des Schweizer Fernsehen SRG vom 24. September 2021, wo die «impfskeptische Bürgerin Regina Göldi» am gleichen Runden Tisch mit Fachleuten sass. Neben ihr der Infektiologe Manuel Battegay, der tatsächlich sehr einfühlsam neben der «Bürgerin» Göldi sass und sprach und ihr geduldig zuhörte. – Auf Twitter versuchten sich allem voran die männlichen Zuschauer in hässlichen Beschimpfungen zu übertrumpfen. Beschimpfungen an die Adresse von Regina Göldi, wie an die der Sendung Arena. False Balance! Abartig, eine derartige «Coronaskeptikerin», «Impfskeptikerin» und Schwurblerin – um nur die am wenigsten unflätigen Ausdrücke zu nennen – überhaupt einzuladen, ihr diese Plattform zu geben! Das war kurz zusammengefasst die Reaktion auf Twitter.
Ich bin dem Chefredaktor Tristan Brenn zutiefst dankbar für seine Stellungnahme zu diesen Kritiken: «Kritik am Zertifikat ist aber keine abweichende Meinung zum wissenschaftlichen Konsens, sondern gehört zur demokratiepolitischen Debatte.» Diese Haltung gibt mir etwas Hoffnung und es lohnt sich, seine ganze Stellungnahme zu lesen. (*1), aber auch Tristan Brenn kommt nicht zum entscheidenden Punkt der ständigen False Balance in Sachen Corona in den Medien. Die Unausgewogenheit liegt zum Beispiel darin, ständig einem Fachmann oder einer Expertin eine «einfache» Bürgerin gegenüberzustellen. Die False Balance liegt darin, einer Krankenschwester das Wort zu erteilen, welche zwar sehr viel weiss, warum sie eine andere Ansicht hat, warum sie sich zum Beispiel nicht impfen lassen möchte, aber sie ist nicht so redegewandt, spricht rhetorisch nicht so vermeintlich brillant, wie der Virologe oder die Infektiologin. Und die Gesellschaft tendiert dazu, die Aussagen eines Wissenschaftlers sehr viel höher zu werten, egal, ob diese korrekt sind und egal, ob sie wirklich verstehen, was der Herr Professor sagt, als die einer einfachen Krankenschwester, geschweige denn der Besitzerin einer Schreinerei wie Regina Göldi. Aber genau darum wäre es wichtig gewesen, dem Infektiologen Manuel Battegay eine ebenbürtige Fachfrau oder einen ebenbürtigen Fachmann mit einer anderen Expertise gegenüberzusetzen. Eine Balance würde dann bestehen, wenn man dem Infektiologen eine Infektiologin oder Immunologin gegenüber gesetzt hätte und nicht die «Bürgerin», die von einem Fachmann freundlich in die Schranken gewiesen wird.
Die richtigen Fachleute für einen öffentlichen Auftritt in der Arena zu finden, dürfte schwierig sein. Trotzdem müssen genau diese Expertinnen zurück an den Tisch. Es ist wohl das erste Mal in der Geschichte moderner Demokratien, dass Wissenschaftlerinnen und Fachexperten derart zensuriert werden. Viele Wissenschaftlerin schweigen lieber, als sich der Hetze auszusetzen oder wegen ihrer anderen wissenschaftlichen Expertise von der öffentlichen Diskussion ausgeschlossen zu werden, oder gar die Stellung zu verlieren.
Hier liegt die wahre False Balance. Ein wichtiger Teil der wissenschaftlichen Expertise zu Corona wurde in den letzten Monaten stumm geschaltet. Das ist demokratie-politischer Irrsinn. Das ist Irrsinn auf mehreren Ebenen.
Verständlich ärgern sich alle jene Menschen, die sich noch mehr und noch härtere Massnahmen gegen die Ausbreitung des Virus wünschen über die Anwesenheit der Frau Göldi. – Aber alle jene Menschen, die sich eine differenziertere Diskussion wünschen, all jene Menschen, die davon ausgehen, dass wir mit härteren Massnahmen niemals aus dieser Krise kommen werden, werden einmal mehr vor den Kopf gestossen. Viele wenden sich ganz ab von den Medien. Viele wenden sich unbedacht denen zu, die kritischen Stimmen noch so bereitwillig eine Plattform gewähren, wie zum Beispiel das Magazin «der Nebelspalter» von Markus Somm, welcher unverständlicherweise dann doch in genau diese Sendung eingeladen worden war. Oder verständlicherweise? Als Teil dieses andauernden Missverständnisses, wie die SRG eine sogenannte «Ausgewogenheit» doch herstellen möchte und mit Somm der rechten Ecke im Publikum eine Beruhigungspille verabreicht?
Aber: Wer meint, es sei nur ein kleiner Teil der Bevölkerung, der diesem ganzen Wahnsinn skeptisch gegenüber eingestellt ist, wer meint, es seien allein die, die als «Schwurbler, Coronalügner und Rechtsextreme» verschrien im Scheinwerferlicht der Medien auf ihren Demonstrationen gezeigt werden, der dürfte sich gründlich irren. Wer meint, die Gefahr von der «Spaltung der Gesellschaft» schönreden zu müssen und in Abrede zu stellen, weil es ja nur die wenigen «dummen Idioten» sind, der irrt sich gründlich. Man kann weiterhin ignorant die «Impfskeptiker» an den Pranger stellen und sich selbstgerecht auf der Seite der Guten und Klugen wähnen. Man kann.
Nur sind es sehr viel mehr Menschen. Es sind ganz normale Menschen. Und genau hier kippt die Sache. Viele Menschen verlieren ihre politischen Heimaten bei den Grünen, bei den Linken, bei den Liberalen und viele fallen auf die Schalmeienklänge der Rechten und Extremrechten herein. Denen sind die Gesundheit, das Leben, die Bedürfnisse dieser Menschen ziemlich egal. Sie wissen einfach sehr gut, wie man an seine Schäfchen kommt. Wir haben nicht nur eine Spaltung der Gesellschaft, wir gehen auf eine Pulverisierung der Gemeinschaften zu und auf die Zerstörung demokratischer Fundamente, sehenden Auges. Das geschieht nicht nur in der Schweiz. Es geschieht praktisch zeitgleich in praktisch allen europäischen Staaten, es geschieht weltweit.
Mir kommt dabei immer wieder – ja haltet euch fest: die so genannte «Iranische Revolution» in den Sinn. Die Mullahs und die Linken arbeiteten damals quasi Hand in Hand. Ich weiss, dass ist jetzt sehr unterkomplex erzählt und zusammengefasst, aber unter dem Nenner kann man es so kurz zusammenfassen. Es ging Vielen damals um ein einziges Ziel: Der Shah musste weg. Viele linke Frauen und Männer kamen damals freudig aus ihren Exilen in aller Welt in den Iran zurück, glücklich dabei zu helfen, einen demokratischen Iran aufzubauen. Das Erwachen war schwer, bitter und unerträglich und viele bezahlten es mit ihren Leben, alle mit ihrer Freiheit. Wir wissen es.
Ja es ist komplexer. Und ja, die Welt ist komplexer. Aber die Mechanismen, die eingesetzt werden, die Strategien der Rechten, sie funktionieren immer genau gleich und sehr, sehr simpel: Teile, säe Zwietracht und herrsche. Der wohl älteste, kürzeste und wirkmächtigste Algorithmus der Welt. Wir können so weitermarschieren, oder wir können einhalten.
Erstaunlich ist, dass es nicht einmal den Grünen oder Fridays for Future wie Schuppen vor den Augen fällt. Mindestens ihnen sind die Ausmasse der Klimakrise klar. Mindestens sie wissen, was wir in den kommenden Jahren zu bewältigen haben. Aber auch sie predigen unbeirrt «Follow the Science» und sind nicht darüber irritiert, dass gerade viele Wissenschaftlerinnen zensuriert werden, dass wähend der Pandemie genau das untergraben wird, was Wissenschaft ausmacht: Der wissenschaftliche Diskurs. – Wir wissen seit Jahrzehnten, dass wir unsere Lebensweise ändern müssen, aber niemals, niemals ist jemals einem Wissenschaftler, der dagegen anredet, einem «Klimalügner»! das Wort entzogen worden. Es wird weiterhin und billiger geflogen und gereist. So billig, wie nie zuvor, um nur einen einzigen Punkt zu erwähnen. Also mindestens die fliegen, die den absolut nicht billigen Aufpreis von PCR-Tests buckeln können. Nein, die Klimakrise ist wegen Corona ausgesetzt, findet zurzeit gerade nicht statt.
Teile, säe Zwietracht und herrsche. Der wohl älteste, kürzeste und wirkmächtigste Algorithmus der Welt.
Charlotte Heer Grau – Die hohe Zeit der Erbsenzähler
Ja, man kann so weitermachen, oder hält ein und frägt sich noch einmal, wo die False Balance liegt. Nicht nur in einzelnen Sendungen zu Corona, es ist die False Balance der letzten Jahre und Jahrzehnte. – Weil ja, die Welt ist in der Tat komplexer. Sehr viel komplexer. So lasst endlich auch die anderen Wissenschaftlerinnen zu Wort kommen, die seit Beginn der Pandemie auf andere mögliche Wege hingewiesen haben, um die Balance wenigstens etwas wieder herzustellen.
*1 Das sagt SRF: Stellungnahme zu den Vorwürfen der «False Balance» / 25. September 2021
https://medien.srf.ch/-/das-sagt-srf-stellungnahme-zu-den-vorwurfen-der-false-balance-?ref=refind
*2 Arena Runder Tisch zu Corona – Schweizer Fernsehen SRF, vom 24. September 2021 https://www.srf.ch/play/tv/arena/video/jetzt-sitzen-wir-an-den-runden-tisch?urn=urn:srf:video:648a4a1c-7802-42a2-9ce2-0d00c9ae2d95