Diese Seite hätte etwas ganz anderes werden sollen. Eine Auseinandersetzung mit den Medien, mit dem Journalismus, mit der Art und Weise, wie wir Informationen rezipieren, aufnehmen und wahrnehmen. – Aber dann kam alles anders…
Februar, 2021
Dann kam Corona… und das tiefe Erschrecken über mich selbst. Das tiefe Erschrecken über mein eigenes Schweigen. Das tiefe Erschrecken, wie schnell das geht. Das Erschrecken darüber, wie Freundinnen und Freunde in den Soziale Medien reagieren.
Fast seit Beginn der Pandemie habe ich mich nicht zu Corona geäussert. Weder auf Facebook, wo ich häufig unterwegs war, noch auf Twitter. Wenn ich jetzt aber nicht den Mund öffne, wenn ich mich jetzt nicht äussere, ersticke ich an meinem Schweigen. Es ist genug! Nichtsdestotrotz werde ich mich hauptsächlich rund um die Medien und den Journalismus bewegen. Denn es sind wir Journalistinnen und Journalisten, die die Botschaften in die Welt tragen und damit Meinungen und Ansichten formen und damit die Welt. Wir tragen Verantwortung – und wir nehmen sie zu oft nicht wahr. Gerade jetzt.

Als ich vor Jahren mit den Essays für Die hohe Zeit der Erbsenzähler begann, war es, weil mir die Entwicklungen in der Gesellschaft, im Journalismus, in der Wissenschaft, der Wirtschaft – in der Schweiz und weltweit – Sorgen bereiteten. Ich hatte Ahnungen, böse Vorahnungen. Dass wir aber landen würden, wo wir heute sind, dass hätte ich mir in meinen hässlichsten Träumen so nicht vorstellen können. Dass ausgerechnet auch die grössten Erbsenzähler unter den Erbsenzählern, die Virologen und Epidemiologinnen den Takt in einer der grössten Krisen angeben würden? Was für eine Durcheinanderwelt!? Die feuchten Träume der Demagogen erfüllen sich vor laufender Kamera: Das Alle gegen alle der letzten Jahre hat sich verschärft.
Es ist endlich Zeit, jetzt, die Dinge auszusprechen, die mir einen immer dickeren Kloss im Hals bereiten. Was für mich dabei am Schwierigsten ist, ist, dass ich plötzlich in einzelnen Punkten mit AutorInnen, KommentarorInnen und JournalistInnen übereinstimme, mit denen ich nichts gemein habe. NICHTS! Allerdings argumentieren sie aus einer völlig anderen Warte und mit Werten, mit denen ich nicht übereinstimme, die ich nicht vertrete. Dabei bin ich überzeugt, dass vielen rechten und extrem rechten Taktgebern die Menschen und ihre Gesundheit ziemlich egal sind. Sie wissen, was viele Menschen umtreibt. Sie wissen, was Angst in der Bevölkerung auslösen kann. Sie benutzen diese Unruhe allein, um diese Menschen hinter sich zu sammeln.
Und auf der anderen Seite? Praktisch alle Journalistinnen, Satirikerinnen, Publizisten und Politiker, denen ich früher schier blind vertrauen konnte und heute noch schier blind vertraue, wenn sie sich zu ihren spezifischen Themen äussern, sprechen plötzlich wie mit einer Zunge: «Aber die Zahlen steigen!» Plötzlich steht man so im Niemandsland. Man traut seiner eigenen Wahrnehmung nicht mehr. Setzt sich noch einmal mit allem auseinander, was einem zum Thema in die Hände kommt. Aber je mehr ich las, desto klarer wurde mir, dass ich mit meiner Sicht nicht so daneben lag. Was passiert da? Mir bleibt nichts anderes übrig: Ich muss reden, jetzt – endlich.
Gegen den Strom schwimmen? Das sagt sich so leichthin. Das Leben lehrt dich, dass es besser ist, einen Strom zu kennen, bevor man hineinspringt. Anfangs 2020 wurden wir weltweit von Nachrichten über ein neues Virus überrumpelt, Nachrichten zu immer mehr Infizierten, Nachrichten über übervolle Spitäler, Bilder aus China. Dann Bilder aus Bergamo in Italien. Erschöpfte Pflegende, erschöpfte Ärztinnen und Leichensäcke. Die immer gleichen Bilder, die immer und immer wieder bemüht wurden und werden. Und offensichtlich mit einem einzigen Ziel: den Schrecken hochzuhalten.
Männer, die auf Ziegen starren.
Erste verständliche Reaktion in den ersten Wochen war sicher, zu beobachten, zu lernen, zu verstehen, so viel wie man verstehen konnte. Wichtig war es, die Regeln der Behörden zu befolgen. Ich äusserte mich nicht, auch wenn mich vieles irritierte. Der Strom an Nachrichten wurde grösser, reissender und erschreckender und die meisten Menschen liessen sich von diesem Strom mitreissen. Die Reaktionen vieler meiner Freunde und Freundinnen auf Facebook oder Twitter wurden beklemmender, ätzender, verletzender. Ich war erschüttert. Wie schnell eigentlich kluge, belesene Mitmenschen sich in unangenehme, hechelnde Zeitgenossen verwandelten. Und: nur noch ein Thema zu haben schienen. Covid-19.
Kein Tag vergeht, ohne dass auf Facebook und vor allem auf Twitter einer einen Kommentar schreibt, in dem er – ja, meistens sind es Männer – sich über Covidioten, Coronaskeptiker oder Pimmelnasen lustig macht, oder irgendwer irgendeinen Artikel teilt, in dem der Autor über Menschen referiert, die entweder Mühe mit den Masken bekunden, die nicht wollen, dass ihre Kinder Masken tragen müssen, die Angst davor haben, dass die Grundrechte beschnitten würden, die den Virus nach wie vor als einen Virus unter vielen anderen Viren sehen, die bekunden, dass sie sich nicht impfen lassen wollten etc. Mit einer Selbstgerechtigkeit sondergleichen wurden und werden diese Menschen in diesen einen Topf von «Covidioten» gesteckt und zudem meist in einem Atemzug mit Esoterikern, Flatearthern, Antisemiten und Verschwörungstheoretikern genannt. Soweit, dass Menschen gar in aller Öffentlichkeit auf Facebook und Twitter damit prahlen, dass sie sich von den Eltern abgewendet haben, vom Bruder, von der Freundin, weil diese so unbelehrbar und dumm seien.

Es seien Menschen, für die die Welt in ihrer Komplexität nicht begreifbar sei und die darum alles immer vereinfachen müssten: Reduktion von Komplexität. – Ich fragte mich mehr und mehr, wer hier eigentlich Komplexität reduziert. Da sitzen Leute hinter ihren Computern, fluchen über alle und jeden, die sich nicht an die Massnahmen halten, fluchen über verrutschte Masken und fordern wieder und wieder: «Stay verdammtnochmal at home». Um dann seelenruhig eine Pizza nachhause zu bestellen, wobei ihnen offensichtlich Wurst ist, dass der Pizzabäcker maskiert und schweisstriefend stundenlang am heissen Ofen steht und nicht zuhause bleiben kann, genausowenig wie die, die auf den Feldern für die restlichen Zutaten auf seiner Pizza zuständig sind. Und dann unterhalten sie sich Pizza kauend über die unflätigen und langsamen Pizzakuriere, oder darüber, wer die besten und schnellsten Steaks liefert. Der Ton in den Sozialen Medien wurde immer unlogischer, schriller, verletzender und hämischer. DAS macht mir Angst. Das irritiert mich. Und während wichtige Themen, über die normalerweise diskutiert wurde kaum mehr zur Sprache kommen, rücken Demonstrationen von ein paar hundert bis tausend Menschen schier täglich ins Rampenlicht. Es hat mich noch mehr erschüttert.
Am meisten aber erschrak ich über mich selbst. Wie schnell dieser Mechanismus wirkt. Wie schnell man aufhört, laut zu denken, Gedanken zu äussern. Wie schnell man sich zurückzieht und verstummt.
Ich las, was mir in die Hände kam. Ich las obsessiv, fieberhaft. Speicherte Artikel, Dokumentationen und Filme. Machte mir Notizen. Nur: Viele der Artikel und Kommentare machten mir keinen Sinn. Die ganze Komplexität des Themas wurde mehr und mehr reduziert auf Zahlen und Statistiken von Infektionen, auf Tote, Betten, Masken – und die einzige Rettung am Horizont, die Impfung. Immer wieder kommt mir ein Satz in den Sinn: «Männer, die auf Ziegen starren»? Es ist der Titel eines Films, den ich nie gesehen habe. Ich kenne diese verrückte Geschichte nur bruchstückhaft, wahrscheinlich von einem Trailer. Dieser Spielfilm handelt über eine wahre Begebenheit in den USA. Unter dem Codenamen „Star Gate“ haben das US-Militär und die CIA von 1972 bis 1995 im Bereich der Parapsychologie geforscht. Es ging im weitesten Sinne darum, mit Hilfe von „remote viewing“, eine Art des Hellsehens, militärische Geheimnisse anderer Länder herauszufinden, durch eine Wand zu sehen, oder einen Hamster nur durch Anstarren zu töten. Für diese abstrusen Experimente wurden Millionen von Dollars ausgegeben. „Männer, die auf Ziegen starren“. Irre!
Dieser Titel kam mir also immer wieder in den Sinn, ob ich wollte oder nicht, wie eine Metapher für das Geschehen, das sich Tag für Tag vor unseren Augen entwickelte und Tag für Tag mehr Einfluss auf den Alltag von uns allen bekam. Menschen, die sich etwas in den Kopf gesetzt hatten und diese Strategie verfolgten, koste es, was es wolle: Distanzieren. Hygienemassnahmen. Homeoffice. Masken. Isolation. Quarantäne. Und irgendwo am Horizont wie ein Messias: Das Versprechen. Die Rettung: die Impfung! Viele Faktoren wurden und werden meiner Ansicht nach ausser Acht gelassen. Meine ganzen Biologiekenntnisse wurden über den Haufen geworfen.
Der Mensch ist keine Petrischale – und die Welt kein Hochsicherheitslabor.
Charlotte Heer Grau
Aber anstatt dass ich zu reden, zu schreiben begann, zog ich mich noch mehr zurück. Verstummte. – War es Feigheit, die am Reden, am Schreiben hindert? Ich glaube nicht. Ich war wie gelähmt und erlebte Ähnliches bei Menschen um mich herum. Ich bin keine so genannte Coronaleugnerin und keine so genannte Verschwörungstheoretikerin. Da ist ein Virus. Punkt. Aber je mehr man über das Virus zu wissen scheint, desto enger wurden die Sichtweisen. Nur eine wichtige Tatsache wurde vor allem in den ersten Wochen total ausgeklammert: Der Mensch hat ein Immunsystem. Der Mensch ist keine Petrischale. Das Immunsystem ist genau dafür gebaut, gegen Krankheitskeime vorzugehen. Es ist ein hochkomplexer, faszinierender Organismus.
Ich bin auch keine Impfskeptikerin. Und wer zum Teufel wäre ich, um hier andere Ansichten ins Spiel zu bringen, wenn selbst renommierte WissenschaftlerInnen zum Schweigen verdammt wurden und werden? Ein einzigartiger Vorgang, soweit mir bekannt ist. Wir wissen heute, dass viele Wissenschafter bezahlt wurden, um falsche Aussagen zu machen. «Zucker ist kein Problem für die Menschen», «Tabak schadet nicht» oder «Es gibt keine Klimakrise», um nur drei der grossen Themen der letzten Jahre herauszupicken. Es ist bekannt. Wir wissen darüber Bescheid. Trotzdem wurde bis zum heutigen Tag meines Wissens keinem dieser Wissenschafter – gerade heute mit Bezug auf die Klimakrise – das Wort entzogen. Klimaskeptische WissenschaftlerInnen forschen weiter, sie publizieren weiter und sie werden weiterhin zitiert, obwohl ihre Aussagen oder Falschaussagen weitaus schädlichere Wirkungen haben könnten.
Nicht so bei SARS-CoV-2? Warum? Warum nehmen wir es ohne Wimpernzucken hin, dass Wissenschaftlerinnen zum Schweigen gebracht werden? Wer hat wann bestimmt, dass nur ein einziger wissenschaftlicher Diskurs, nur eine Denkrichtung, nur ein Narrativ Gültigkeit hat? Wer?
Die Zahlen? Die steigenden Zahlen? Die Bilder aus China und Bergamo?
Die Zahlen der SARS-CoV-2 Positiven steigen und die Zahlen der vorhandenen Spitalbetten sinken? Da besteht in der Tat immer wieder eine Korrelation in den statistischen Kurven. Aber wie steht es mit der Kausalität? Sind steigende Infektionen und sinkende Spitalbetten wirklich die einzigen Variablen die es zu beachten gilt?
Wir wissen heute, dass viele Wissenschafter bezahlt wurden, um falsche Aussagen zu machen. «Zucker ist kein Problem für die Menschen», «Tabak schadet nicht» oder «Es gibt keine Klimakrise», um nur drei der grossen Themen der letzten Jahre herauszupicken. Es ist bekannt. Wir wissen darüber Bescheid. Trotzdem wurde bis zum heutigen Tag meines Wissens keinem dieser Wissenschafter – gerade heute mit Bezug auf die Klimakrise – das Wort entzogen. Sie forschen weiter, sie publizieren weiter und sie werden weiterhin zitiert, obwohl ihre Aussagen oder Falschaussagen weitaus schädlichere Wirkungen haben könnte.
Charlotte Heer Grau
Die Klimakrise findet wegen Corona bis auf Weiteres nicht statt!
Jahrelang haben Kommentatoren in den Medien, vor allem auch in den Social Media, jeder und jedem eine Phrase um den Kopf gehauen: Eine Korrelation zwischen zwei Variablen bedeutet nicht zwingend, dass da auch eine Kausalität besteht. Bei Covid-19 fällt – so scheint es mir – dieser Anspruch plötzlich weg. Warum? Männer, die auf Zahlen starren (und ein paar Frauen auch)! Dabei gäbe es weitere Variablen, die vielleicht auch beachtet werden müssten. Bekannte, wie heruntergesparte, zum Teil marode Gesundheitssysteme in vielen Staaten. In Europa vor allem in Italien, in Spanien oder Griechenland. Aber auch in Deutschland und in der Schweiz. – Bekannte, wie der übermässige Gebrauch von Antibiotika? Bekannte, wie falsche Ernährung? Bekannte, wie Feinstaub und seine Auswirkung auf den menschlichen Organismus, allem voran auch auf unser Immunsystem. Einzelne ÄrztInnen und ForscherInnen warnten seit Jahren und versuchten darauf hinzuweisen . Auch im Frühjahr 2020.
„Luftverschmutzung ist nachweisliche Ursache für Krankheit und vorzeitige Todesfälle. Die grösste Gefahr geht von übermässigen Belastungen mit Feinstaub und Ozon aus», ist auch auf den Seiten des Bundesamts für Umwelt BAFU zu lesen. Dabei wird darauf hingewiesen, dass eine 2015 aktualisierte Studie des Bundesamts für Raumentwicklung ARE zeige, dass wegen der Luftverschmutzung in der Schweiz „jährlich rund 2’200 Personen vorzeitig sterben, dabei gehen 22’000 Lebensjahre verloren.“
Auch das Deutsche Ärzteblatt berichtet am 3. März 2020 über eine neue Studie des Max-Planck-Instituts für Chemie und der Universitätsmedizin Mainz in der Fachzeitschrift Cardiovascular Research. Die Studie untersucht die globalen Auswirkungen der Luftverschmutzung auf die Gesundheit der Menschen im Vergleich zu anderen Risikofaktoren. Danach verursachte Luftverschmutzung im Jahr 2015 weltweit 8,8 Millionen vorzeitige Todesfälle. Sie verkürze „die Lebenserwartung der Menschen im globalen Durchschnitt stärker als Infektionskrankheiten oder andere Herz-Kreislauf-Risikofaktoren wie Rauchen. Ähnliches wird in der Medical Tribune bereits im April 2019 festgehalten.
In der Schweiz sterben also jährlich 2200 Menschen vorzeitig wegen der Luftverschmutzung. Weltweit sind es über 8 Millionen Menschen! Der Zusammenhang von Luftverschmutzung und deren Auswirkungen auf den menschlichen Organismus scheint mir muss zwingend als Variable bei Betrachtung des ganzen Krankheitsverlaufs mit einbezogen werden. Was – und ich frage hier selbstverständlich als Laie, aber diese Frage scheint mir zwingend: Was, wenn nicht SARS-CoV-2 ursächlich für die schweren Krankheitsverläufe ist, sondern unter anderem auch die Auswirkungen der Luftverschmutzung? Es gibt genug Indizien, die für diese These sprechen, zumal gerade die Grossstädte fast überall auf der Welt eine Massierung von schweren Verläufen zeigt. Was, wenn Menschen, die in Grossstädten leben, bereits respiratorische Vorerkrankungen aufweisen?
Danach verursache Luftverschmutzung im Jahr 2015 weltweit 8,8 Millionen vorzeitige Todesfälle. Sie verkürze „die Lebenserwartung der Menschen im globalen Durchschnitt stärker als Infektionskrankheiten oder andere Herz-Kreislauf-Risikofaktoren wie Rauchen.
Fachzeitschrift Cardiovascular Research – März 2020
Das alles ist mehr als ein Indiz dafür, hier genauer hinzusehen und – davon bin ich überzeugt – dass nachhaltige Klimamassnahmen sofort umgesetzt werden müssten. Jetzt, nicht erst, wenn man Corona irgendwann so genannt im Griff haben wird. Aber die Klimakrise findet wegen Covid-19 bis auf Weiteres nicht statt. Punkt. Dafür erzeugen wir weitere Hundertausende von Tonnen von Plastik, von Masken, von Plexiglas und Desinfektionsmitteln. Mit Verlaub, wir sind verrückt!
Ein weiterer wichtiges Moment ist unser Immunsystem. Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir in der Tat zukünftig weitere noch hässlichere Pandemien haben, weil unsere Immunsysteme nicht „lernen“ können. Gerade die Immunsysteme von Kindern und Jugendlichen müssen zwingend die Möglichkeit haben, sich mit den Keimen, Bakterien und Viren der Aussenwelt auseinanderzusetzen, sie müssen trainiert werden. Das ist wissenschaftliche Evidenz. Was mich hier erschreckt, ist, wie wenig wir offensichtlich über unsere eigenen Körper Bescheid wissen. In einigen Fernseh-Programmen und Dokumentationen wird zwar immer wieder auf das Immunsystem hingewiesen, niemals aber mit dem Bezug zu Corona. Der Mensch ist keine Petrischale! Er hat dieses höchst effektive System und darüber muss mehr publiziert werden. Jeder Mensch hat an die 37 Milliarden Mikroorganismen auf und in sich. Auf der Haut. Und auf der Hand andere, als auf der Brust oder in der Achselhöhle. Auf der Zunge, auf den Zähnen, in der Nase… überall wimmelt es im Körper von diesen Mikroben. Und wir brauchen sie, wir wären nicht, wer wir sind und wären auch nicht lebensfähig ohne sie. Mit dem ständigen Maskentragen und mit dem ständigen Desinfizieren der Hände und der ganzen Welt um uns herum, machen wir genau das Falsche: Wir schützen uns nicht, sondern schwächen uns. Und ja, die Welt ist kein Hochsicherheitslabor. Wir können Lockdowns um Lockdowns beschliessen: Viren foutieren sich um diese Grenzen. Wir müssen nicht nur lernen, mit diesem Virus zu leben. Wir müssen lernen, unsere eigene Biologie besser zu verstehen.
«Ich werde bis auf den Tod Ihr Recht verteidigen, es zu sagen!»
Evelyn Beatrice Hall (zu Voltaire)
Angst! Mich erschreckt zutiefst, wie schnell, wie gut dieser Mechanismus wirkt, mit dem süssen Gift der Angst zu arbeiten. Wie schnell Menschen, allen voran die Journalistinnen, aber auch die SatirikerInnen, die Wachhunde der Gesellschaft, und selbst Wissenschaftlerinnen auf diesen Kurs einschwenkten. Sich von der Angst vor dem Virus erfassen liessen und genau das nicht mehr taten, was ihre Aufgabe wäre: Kritisch hinterfragen. Im Gegenteil, gerade Journalisten zeichneten sich darin aus, jede konträre Meinung mit „Covidiot“ abzuwatschen. Mich erschreckt, wie gerade Medienschaffende nicht gewillt sind, sich des Ausmasses dieser Katasthrophe bewusst zu werden. Nicht nur dass die Gesellschaften jetzt noch zersplitterter sind, dass Menschen noch mehr Vertrauen in die Wissenschaft verlieren, sondern dass wir mit den getroffenen Massnahmen die Gesundheit der Menschen, physisch und psychisch geradezu zerstören. – Wir müssen reden!
Es gibt sie, die vielen Wissenschafterinnen und Wissenschafter, Ärztinnen und Ärzte, Journalisten und Journalistinnen, die dagegen anreden. Aber sie werden lächerlich gemacht und totgeschwiegen, im schlimmsten Fall verlieren sie das Recht, ihren Beruf auszuüben. Sie haben Nischen im Internet, solange diese nicht blockiert werden. – Aber es gibt Hunderttausende von Menschen, die ABER sagen. Die wenigsten gehen auf die Strasse, die meisten halten sich an die Regeln. Aber sie verkümmern schier innerlich. Die grosse Depression der 1930er dürfte im Vergleich ein Sonntagsspaziergang gewsen sein, zu dem, was uns erwartet, wenn wir jetzt nicht einlenken. – Wir müssen reden!
Ich rufe darum explizit vor allem uns Journalistinnen und Journalisten auf, einen Moment innezuhalten, nicht nur zu hören, was einige Virologen sagen, sondern auch anderen Wissenschaftlerinnen und ÄrztInnen zuzuhören, auch den Soziologinnen und Philosophen. Wir müssen den gebannten Blick von den Zahlen lösen und uns dafür etwas tiefer mit dem menschlichen Körper und mit unserer Umwelt befassen. Wir müssen mit anderen Immunologinnen sprechen und uns mit den Aussagen der Klimawissenschafterinnen auseinandersetzen. Es ist meine dringende Bitte. Wir können mit Nachdruck auf unsere Regierungen schimpfen, nur machen wir damit alles schlimmer. Was können Regierungen anderes tun, als irgendwie auf diese Kakophonie von einerseits Expertenmeinungen und andererseits Lobbyisten und völlig zerfledderter Bevölkerungsmeinung zu reagieren? Egal, was sie tun, sie können es nicht richtig machen, solange nur diese eine „gängige wissenschaftliche Meinung“ zählt. Viel hat hierzu der Philosoph Markus Gabriel zu sagen: „Das heisst nicht weniger Wissenschaft, sondern mehr Wissenschaften, die sich gegenseitig durch Perspektivenpluralität über das virulente Nichtwissen aufklären, anstatt im Tages- und Wochentakt Wissensansprüche zu formulieren, die wenige Wochen später vor den Augen der aufgeklärten Öffentlichkeit verpuffen.“ (NZZ/ 28.01.2021).
«Ich lehne ab, was Sie sagen, aber ich werde bis auf den Tod Ihr Recht verteidigen, es zu sagen.» – Nach den Anschlägen 2015 auf das Satiremagazin Charlie Hebdo trugen unzählige Menschen diesen wichtigen Satz der Aufklärung wie ein Schild vor sich her: Ich werde bis auf den Tod Ihr Recht verteidigen, es zu sagen! Es ist ein Satz aus der Vernunft geboren. Aus dem Wissen, dass wir nur in einem offenen Diskurs zu neuen Kenntnissen gelangen, dass Demokratie nur auf dem Fundament von Meinungsfreiheit möglich ist. Aber Angst schlägt Vernunft. Angst macht uns blind. Einzelne Kommentatoren in den Medien fanden bereits Argumente, warum dieser Leitsatz in Zeiten von Corona keine Berechtigung mehr habe. Angst schlägt Vernunft und auch den Verstand. – Wir müssen reden!
Mir ist nichts anderes geblieben, als mich jetzt doch in diesen Fluss zu begeben. Aber ich versuche, eine der kleinen Inseln anzuschwimmen, die es schon gibt. Wo es nicht um Verschwörungsphantasmen und nicht um einfache Lösungen geht, sondern um die Bemühung, Wege aus dieser gefährlichen Situation zu finden. Wir müssen irgendwie einen Weg finden, diese Titanic die mit unaufhörlichem Tempo auf den Eisberg zustampft, zu bremsen, wir müssen diesen Kurs ändern. Jetzt.
Wir müssen reden!
Update Juni 2022: Ich bin damals im Februar 2021 nicht in den Fluss gestiegen, konnte nicht aus meinem eigenen Teufelskreis ausbrechen. Ich habe zwar begonnen, an diesem Blog zu arbeiten. Habe mit meinem Webmaster diese Seite erstellt, aber bin dann immer wieder in tiefes Schweigen versunken. Erst jetzt, nachdem ich mich fast zwei Monate von Twitter und Facebook ferngehalten und etwas mehr innere Ruhe gefunden habe, erst jetzt ist es mir möglich geworden, damit auch rauszukommen.