Barbie – Der Film – Die Verarschung

Mattels Perfektionierung der Verarschung der Frauen: Sexistisch, menschenverachtend und reaktionär: Wahre Frauen werden Mutter.

Spain, März 2024 (update Oktober 2024)

Ich wäre nie auf die Idee gekommen, mir diesen Film anzuschauen. Aber als ich von immer mehr Seiten hörte, Gerwigs Barbie habe doch eine feministische Komponente, blieb mir nichts anderes übrig, ich musste ihn mir antun. Und bin bestürzt. Man mag mir vorwerfen, ich sei zu alt und zu humorlos. Das scheine ich – was die Frauenfrage betrifft – tatsächlich. Es gibt einen einzigen wirklich schönen Moment, in diesem Film. Da sitzt eine alte Frau an einer Busstation. Die beiden schauen sich an, Barbie und diese Frau. Barbie sagt etwas wie: «Sie sind schön». Es bleibt mir der einzig wirklich berührende Moment in diesem Film. Aus dieser Sequenz hätte sich möglicherweise etwas entwickeln können. Es hätte der Strang werden können, an der man sich eine Weiterentwicklung von Barbie zur Frau in einer Menschenwelt hätte vorstellen können. Aber diese Sequenz bleibt wie ein Fremdkörper, ein Filmschnipsel aus einem anderen Film, der hier fälschlicherweise hineingeschnitten und vergessen wurde. Ein kleiner Moment ohne Folgen und ohne Sinn. Ja, es hat hübsche Momente und Ansätze. Es hätte was werden können.

Ich spreche jetzt auch nicht einmal über meinen Ärger über den Missbrauch des sagenhaften Intros von Stanley Kubricks 2001 Odyssee im Weltraum. Es sei satirisch gemeint. Auch hier wirft man mir fehlenden Humor vor. Das ist ok. Ich sehe nichts Humorvolles, nichts Satirisches, nur ein Mangel an eigenen Ideen. Darum komme ich ohne Umschweife zum Punkt: Dieser Film entsetzt mich genauso wie viele Reaktionen vieler Frauen auf diesen pinkigen Dollarscheffler. Es sei ein «feministischer Film»  Man müsse ihn mit einem Augenzwinkern anschauen. Es brauche etwas Humor, um ihn zu verstehen. Das sind die Ratschläge, die man mir gibt, wenn ich verwundert frage: Was, bitte, was ist feministisch an diesem Film?

Ich sehe es anders und sage es bereits im Titel: Barbie ist menschenverachtend und reaktionär. Und frage mich, wie viele pinke Brillengläser man auf der Nase haben muss, um dies nicht zu sehen?

Gehen wir darum zum Schluss des Films, wo Barbie realisiert, dass sie aus der pinken Barbiewelt ausbrechen will, um wirklich Frau zu werden (1h40’) und noch mitten in all den Barbies und Kens und blöden Mattel-Managern auf die leibhaftige Schöpferin von Barbie trifft: Die alte, weisse Ruth Handler.

«Komm, lauf ein paar Schritte mit mir», sagt Handler und reicht Barbie die Hand und die zwei gehen ein paar Schritte und tauchen in eine Szenerie, die in vielen, vielen anderen Feel-good-Filmen quasi den Übergang zwischen Erde und Himmel symbolisieren soll. Viel nebulöses Weiss und lichtes Blau… etc.

Hier bittet Barbie Ruth Handler darum, in die richtige Welt gehen zu dürfen, Mensch werden zu dürfen. Frau! Handler schaut Barbie tief in die Augen und antwortet, dass Barbie dafür nicht ihre Erlaubnis brauche, dass Barbie dies selber entscheiden müsse. Aber dann fügt sie mit ernsthafter Stimme und Miene hinzu: Ich lass dich diesen Schritt nicht machen, ohne dass du weisst, was er bedeutet». – «Nimm meine Hände. – Nun, schliesse deine Augen. – Und jetzt: Fühle!»

Es ist dies der Moment wo man im Film denkt, ok, jetzt, vielleicht kommt dieser «feministische» Moment, von dem einige Frauen schwärmen. Irgendetwas, wofür es sich gelohnt hat, diesen Film fast zwei Stunden über sich ergehen zu lassen. Vielleicht in Anlehnung an den Steppenwolf von Hermann Hesse? Harry Haller, der durch die Gänge des magischen Theaters wandert, mit seinen Türen, hinter denen sich verschiedene Szenerien abspielen? Oder näher bei uns – bei uns Rezipientinnen heute: Das Fünfte Element von Luc Besson, wo die wunderhübsche Leeloo vor dem Computer sitzt und Hunderte Jahre Menschheitsgeschichte im Schnelldurchlauf anschauen muss, um zu lernen, was der Mensch ist: Hunger, Katastrophen, Kriege, Vietnam, erster Weltkrieg, zweiter Weltkrieg. Leeloo sitzt vor dieser rasenden Bilderfolge. Weint, es zerreisst sie vor Schmerz.

«Ich lasse dich diesen Schritt nicht machen, ohne dass du weisst, was das bedeutet. Und was folgt jetzt? Was bedeutet Menschsein? Worauf lässt sich Barbie da ein?

Untermalt mit dem Song von Billie Eilish, «What was I made for» prasselt eine Abfolge von kitschigen, hübschen Bildern an uns vorbei: Das Goldherzchen auf Barbies Brust in Grossaufnahme, eine Träne, die aus ihrem Auge tropft, Blätter im Wind, eine Mutter, die ihrem Baby die Flasche gibt, eine Mutter, die ihr Baby hochhebt, eine Mutter, die ihr Kind lachend herumwirbelt, ein lachendes Mädchen auf einem Karussell, eine junge Frau, die ins Wasser springt, lachende Mädchen und Teenager, im Wasser, auf dem Velo, beim Schulabschlussfest, Geburtstagskerzen auspustend, voller Freude im Fallschirm hängend, beim Kegeln, sich schminkend, bei einer Hochzeit, dann eine ältere Frau und zum Schluss wieder ein Kind mit Blume im Kornfeld und schliesslich – Schnitt zu den beiden Frauenhänden, die ineinander liegen und sich langsam lösen – und Schnitt und Barbie steht mutterseelenallein im Nichts. Kamera fährt auf ihr Gesicht und sie sagt mit weitaufgerissenen Augen: Yes!

Barbie, die jetzt Barbara Handler heisst, wird dann von ihren Freundinnen aus der wirklichen Welt in Los Angeles im offenen Cabriolet vor ein Gebäude gefahren:

«So tauschte Barbie das Plastik und die Pastellfarben von Barbie-Land gegen das Plastik und die Pastellfarben von Los Angeles», sagt die Stimme aus dem Off. – Barbie betritt das Gebäude und geht an den Schalter. – Wofür sie denn da sei, wird sie gefragt und Barbie, sorry, Barbara antwortet mit einem glücklichen Lächeln: «Ich habe einen Termin bei meiner Gynäkologin».

Die eigentliche Botschaft dieses Films ist, ob es euch gefällt oder nicht: Frau sein heisst Mutter werden. Egal jetzt ob dieser Barbie-Film den Frauen suggeriert, dass sie alles, wirklich alles werden könnten, was sie wollen, Ärztinnen, Anwältinnen, Nobelpreisträgerinnen…. Im Barbieland im Film arbeiten ja tatsächlich nur Frauen. Auch die Strassenarbeiterinnen sind Frauen. Aber eine Barbie mit Presslufthammer habe ich bis zum heutigen Tag noch nicht zum Verkauf angeboten gesehen. Auch keine Metzgerin Barbie, Bauarbeiterin-Barbie oder gar Barbie-Soldatin. Nein, die Barbies im Verkauf sind Barbie-Schön oder Barbie-Akademisch.

Und jetzt das: Sorry, die Botschaft des Films ist eine ganz andere: Frauen können alles werden, was sie wollen. Aber allem voran sollen sie Kinder gebären, Mütter werden, von hübschen Mädchen, die Barbies kaufen und selber wieder Mütter werden und Kinder, nein, Mädchen gebären.

Und hier sind wir bei einem weiteren Punkt: Es ist auch ein sexistischer Film. Die Männer, alle Männer in diesem Film sind Idioten. Alle Kens sowieso. Sie sind dümmliche, weinerliche, devote Jungs, die nichts können, ausser für Barbies zu schwärmen, «hübsch» auszusehen, sich etwas vorzumachen und sich zu raufen und zu prügeln. Gut, ein paar können tanzen. Aber dann hat es sich: Männer sind dumm. Auch die Mattel-Manager bis zum obersten Top-Manager: sie sind dumm. Sie sind Trottel, trottelige Obertrottel.

Dieser Film verarscht letztlich alle, ausser Mattel und die InvestorInnen. Es gibt nämlich einen einzigen Satz in diesem Film, der in der 42. Minute ganz offen zusammenfasst, um was es wirklich geht… und meine These belegt:

Ken ist seit einiger Zeit in der wirklichen Welt und auf Stellensuche. Auf eine wiederholte Absage von einem Manager sagt er zu ihm: “You guys aren’t doing patriarchy very well.”

Der Manager antwortet: “We’re actually doing patriarchy very well”… und, etwas leiser und grinsend:

“… we’re just better at hiding it.”

Unter dem Nenner: «Wir betreiben das Patriarchat sehr viel besser, wir sind heute nur besser darin, genau das zu verstecken.»

Wir sind nur besser darin, es zu verstecken.

Darum geht es in diesem ganzen vermaledeiten Film: Darum, die Frauen noch einmal ganz tüchtig zu verarschen, ihnen ihren Platz zuzuweisen und dabei gleichzeitig Milliarden zu verdienen und den Verkauf von Barbiepuppen zu neuen Höhenflügen zu verhelfen. Das Image malen, das Narrativ festigen, wissend, dass man heute Klartext reden kann, Fakten aufzählen, aber viele Menschen trotzdem nur die Schultern zucken: «So what! Eine tolle Greta Gerwig hat einen tollen Film gemacht mit tollen SchaupierlerInnen und toller Musik. Das generiert halt Millionen. Who cares? Es ist gute Unterhaltung».

Mattel verdiente bereits vor dem Film jährlich 1.5 Milliarden Dollar. «Barbie erreichte 2023 einen Markenwert von 701 Millionen US-Dollar und belegte damit den vierten Platz unter den wertvollsten Spielwarenmarken der Welt.» (statista).

Wie sagte Neil Postman bereits vor 40 Jahren? Wir amüsieren uns zu Tode. Denn was dieser Film in den Köpfen von Frauen und Mädchen anrichtet, ist bereits seit längerem absehbar: Sie leben in einer Traumwelt, die nichts mit dem realen Leben zu tun hat Und wir wundern uns, warum in den USA überhaupt ein Trump hat gewählt werden können und unter Umständen wieder Präsident der Vereinigten Staaten werden könnte.

Wir wundern uns, warum viele Staaten weiter und weiter nach rechts rücken. Wir wundern uns, klammern uns in Stöckelschuhen an eine barbie-pinke, politisch korrekte heile Welt und sind nicht mehr fähig, Zusammenhänge zu erkennen. Wir wollen nicht hinsehen, was Buben und Jungs und Männer kaputtmacht. Was sie zu dem formt, was viele sind und werden.

Denn mit Verlaub, es gibt sie nicht, die alten, weissen Männer. Es ist altes, überholtes, kurzsichtiges, reaktionäres Denken, das in den Köpfen der Männer und halt eben auch in den Köpfen vieler Frauen spukt. Es ist das Teilen der Welt in Schwarz und Weiss, oder Schwarz und Pink.

Barbie ist unter dem Strich nur eines: ein Milliardenschweres Big Business. Verführung zum Kauf.  – Wer hier irgendwas anderes dazu fantasiert, wer hier auch nur einen Hauch von Feminismus wittert, sollte zur Psychoanalytikerin. Kauft doch was ihr wollt, spielt womit ihr wollt, kleidet euch, wie ihr wollt und steht dazu. Versucht eure Scham nicht irgendwie hinter intellektuellen Hokuspokus-Theorien zu verstecken. Steht einfach dazu und gut ists!

Aber seid euch dabei eines bewusst: Damit festigt ihr patriarchales Denken in ihren Wurzeln. Es braucht euch, die ihr fest daran glaubt, dass alles gut wird, wenn man nur schön und hübsch und lieb und nett ist und fest daran glaubt und sich mit anderen zusammentut, die lieb und nett sind und an das Gute glauben und sich nur eines wünschen: einen lieben, netten Ken an der Seite zu haben und dann schier verzweifeln, wenn sie erkennen, dass im besten Fall in ihrem lieben, netten Ken eigentlich ein ganz normaler Mann steckt, der verzweifelt selber auf der Suche nach sich selbst ist. Im besten Fall. Zu oft aber ein kaputter, erschöpfter Mann, der keine Ahnung mehr hat, was die Welt eigentlich von ihm will. Gross und stark? Viel Geld verdienen? Sich für die Familie kaputt arbeiten? Sie sind das Kanonenfutter des Patriarchats. Die Gesellschaft bietet ihnen keine wirklichen Vorbilder, ausser Mission Impossible etc. Nur weitere Schubladen.

Und alle, alle, die mir jetzt hechelnd kommen wollen mit: Wir Frauen wurden jetzt Tausende Jahre unterdrückt, die Männer sollen zum Teufel selber schauen und was verändern…

Denen sage ich: Super, macht so weiter und nichts verändert sich, ausser dass sich Fronten noch mehr verhärten. Da helfen auch all die Männer nicht, die sich «Feminist» nennen, die mit Glotissschlag daherreden, Sternchen zu setzen wissen und im gleichen Atemzug hämisch über «alte weisse Männer» herziehen und den Frauen die Welt erklären. Nein danke! Wenn wir etwas verändern wollen, können wir das nur gemeinsam. Ich kenne viele superstarke, feine, alte, weisse Männer. Und einige Frauen, die an alten Zöpfen hängen.

Auch ich selber hänge noch in Vorurteilen fest. Aber ich weiss, dass wir nur diskutierend und lernend aus diesem Mist herausfinden. Wir sind nicht unfehlbar. Wir sind nur Menschen und werden immer nur Menschen bleiben. Aber wir wären lernfähig. Theoretisch. Wenn wir nicht lernen wollen: Dann à la bonne heure: Dann lesen wir in 10 Jahren, in 20 Jahren, im nächsten Jahrhundert weiterhin Texte wie diesen hier. Mit der Frage, warum sich zum Teufel nichts ändert.

Update 2024:

Das habe ich erst jetzt entdeckt, das Buch vom US-amerikanischen Journalisten und Autor Jared Yates Sexton, 2019. In meinen Augen ist es ein Schlüsselwerk. Nicht nur Männer sollten es lesen. Auch Frauen.

„The man they wanted me to be – Toxic Masculinity and a Crisis of Our Own Making”.

“Men like my father, and men like him who attend Trump rallies, join misogynistic subcultures, populate some of the most hateful groups in the world, and are prisoners of toxic masculinity, an artificial construct whose expectancies are unattainable, thus making them exceedingly fragile and injurious to others, not to mention themselves. The illusion convinces them from an early age that men deserve to be privileged and entitled, that women and men who don’t conform to traditional standards are second-class persons, are weak and thus detestable. This creates a tyrannical patriarchal system that tilts the world further in favor of men and, as a side effect, accounts for a great deal of crimes, including harassment, physical and emotional abuse, rape, and even murder. These men, and the boys following in their footsteps, were socialized in childhood to exhibit the ideal masculine traits, including stoicism, aggressiveness, extreme self-confidence, and an unending competitiveness. Those who do not conform are punished by their fathers in the form of physical and emotional abuse, and then further socialized by the boys in their school and community who have been enduring their own abuse at home. If that isn’t enough, our culture then reflects those expectations in its television shows, movies, music, and especially in advertising, where products like construction-site-quality trucks, power tools, beer, gendered deodorant, and even yogurt promise to bestow masculinity for the right price. The masculinity that’s being sold, that’s being installed via systematic abuse, is fragile because, again, it is unattainable. Humans are not intended to suppress their emotions indefinitely, to always be confident and unflinching. Traditional masculinity, as we know it, is an unnatural state, and, as a consequence, men are constantly at war with themselves and the world around them.”

Sexton, Jared Yates. – 2019 «The Man They Wanted Me to Be: Toxic Masculinity and a Crisis of Our Own Making»